Fehlerkultur
Übung macht den Meister?
In «Dance Movements» von Philipp Sparke gibt es im vierten Satz eine Passage, die es in sich hat. Sie besteht aus vier 16-tel Ketten, die sich über 12 Takte erstrecken und – bei Tempo 144 bpm – von einer schwer bestimmbaren Kreuztonart nach Eb-Moll modulieren. Diese schnellen Läufe bestehen nicht nur aus Skalen, sondern es gibt auch Sprünge und Arpeggien. Kurzum: Auch für Profimusiker ist diese Stelle eine echte Herausforderung.
Seit gut drei Monaten übe ich nun diese Passage und habe dabei viel übers Fehlermachen gelernt. Beim Üben sind Fehler unvermeidlich, gerade auch in diesem Fall. Welche verschiedene Qualitäten Fehler haben und wie hilfreich diese beim Üben sind, habe ich aber erst jetzt so richtig verstanden.
Der Nachvollzug des Falschen ermöglicht das Lernen des Richtigen
Bekanntlich gibt es drei Phasen des Lernens, erst das Aufnehmen und das Erarbeiten – in diesem Fall: dieser musikalischen Passage –, dann das Durcharbeiten und «Üben» und schliesslich das Abrufen und Anwenden des Gelernten. In der zweiten Phase haben Fehler Orientierungsfunktion: Sie zeigen auf, was man schon kann und was noch nicht. Und sie fordern einen Entscheid, wie viel man noch üben und lernen muss.
Tatsächlich offenbart ein Fehler sehr viel mehr: Jeder Fehler hat einen «Ort», und zwar sowohl im rhythmischen Gefüge der Noten als auch auf dem Instrument. Er lässt sich beschreiben, etwa als Tonfolge-Fehler, als rhythmischer Fehler, als Fehler mit Bezug auf einen Griff, eine Artikulation oder eine Phrasierung. Fehler passieren auch aus mangelnder Vorausschau oder weil man auf die eben gespielte Notenfolge zurückblickt. Und jeder Fehler lässt sich schliesslich begründen, etwa mit mangelnder Aufmerksamkeit, Verwechslungen und Vertauschungen von Tönen, Akkorden und Figuren, wegen einer falschen Weichenstellung und schliesslich auch durch die gedankliche Vorwegnahme von Fehlermöglichkeiten, also aus Angst vor möglichen kommenden Fehlern. Womit sich eine weitere Qualität von Fehlern zeigt – der Fehler als Manifestation des Scheiterns, des Nicht-Genügens, des Unvermögens und fehlenden (sic!) Talents.
Natürlich sind solche «Selbstverurteilungen beim Üben» kontraproduktiv. Fehler passieren. Die Beschäftigung mit den eigenen Schwächen erfordert darum Toleranz und Fürsorge sich selbst gegenüber. Was wiederum bedeutet, dass jeder seinen persönlichen Umgang mit Fehlern lernen muss. Das richtige Mass an Geduld, Ausdauer, Disziplin, Demut und Aufrichtigkeit zu finden bedeutet nicht nur, das eigenen Üben zu organisieren, sondern auch, eine eigene Fehlerkultur zu entwickeln.
In diesem Sinne lernt nur derjenige, Fehler zu vermeiden, dem auch erlaubt ist, Fehler zu machen.
Fotonachweis: eigenes Bild