Sonnet in Search of a Moor
Cancel Culture
Beim Workshop «Ellington – A Small Big Band» in Arosa 2021 standen auch einige Stücke auf dem Programm, die Duke Ellington und Billy Strayhorn 1956 für das Stratford Festival in Ontario (Kanada) geschrieben haben. Die Suite Such Sweet Thunder gilt heute als eine meisterhafte Sammlung verschiedener musikalischer Porträts, die mit ihren Farben, Texturen und Rhythmen eine ganze Palette von Stimmungen und Emotionen hervorrufen. Der Titel ist dabei ebenso Programm wie die insgesamt zwölf Stücke, die in direktem Bezug zu William Shakespeare stehen.
Das Sonnet in Search of a Moor ist ganz offensichtlich Othello gewidmet, dem Mohr von Venedig. Und so musste ich beim Spielen fortwährend an politisch unkorrekte Mohrenköpfe denken: Kann man diesen Titel einfach so aussprechen? Darf man das Stück überhaupt noch spielen? Was ist mit Ellingtons Orchester-Suite «Black, Brown and Beige» und allgemein mit Negro Spirituals? Fallen auch diese jetzt der Cancel Culture zum Opfer?
Dass sich Ellington immer wieder auch politisch für die Sache der Schwarzen eingesetzt hat (und sich etwa geweigert hat, für ein segregiertes Publikum zu spielen), ist bei dieser Art systematischer Sprachsäuberung vermutlich irrelevant. Es ist wahrscheinlich auch egal, dass seine Musik für schwarze Spitzenleistungen steht, die er als Widerstandstaktik gegen die negativen Stereotypen von Afroamerikanern präsentierte. Am Begriff «Mohr» hängt eine jahrhundertealte Herabsetzungsgeschichte, basta.
Wie die im Kern sexistische Gendersprache blendet auch die Cancel Culture den jeweiligen Kontext aus. Das gilt auch für den «Mohren», für den es viele positive Beispiele gibt, angefangen bei den Heiligen Drei Königen in der Weihnachtsgeschichte. Der Kontext definiert den Spielraum zwischen berechtigter Empörung über diskriminierende Begriffe und sprachlicher Überempfindlichkeit.
Kultur ist Zeitgenossenschaft, und ihre Vermittlung kann nur gelingen, wenn es diese Kontexte geben darf. So einfach ist das.