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Kultur und Diskurs

Ende April 2021 kommentierten prominente deutschsprachige Schauspielerinnen und Schauspieler mit ironisch gemeinten Videos die Corona-Politik der Regierungen und die Medienberichterstattung zum Thema. Die Aktion sorgte auch in der Schweiz für mediales Aufsehen, etwa im «Tages-Anzeiger» vom 28. April 2021: «Dieser eitle Brunz erledigt sich von selber».

Die Aktion – und die nachfolgende Debatte – ist für mich darum so bemerkenswert, weil sie an eine wichtige Funktion des deutschsprachigen Kulturlebens erinnert: den Diskurs. Das hat viel mit Friedrich Schillers Vorstellung von der «Schaubühne als moralische Anstalt» von 1794 zu tun, ohne die Regisseure wie Erwin Piscator, Dramatiker wie Bertolt Brecht oder das Zürcher Schauspielhaus während des Zweiten Weltkrieges nicht vorstellbar wären. Und sie gilt – Christoph Marthaler hin und Lukas Bärfuss her – bis heute. Anders als das angelsächsische Theater begnügt man sich hierzulande nicht mit dem «well-made play».

Die Rückbesinnung auf ein zentrales Erbe des deutschsprachigen Theaters (sinngemäss: «nicht einverstanden zu sein») macht diese Aktion denn auch so schwer erträglich. Ja, von der Corona-Pandemie sind darstellende Künstlerinnen und Künstler besonders stark betroffen. Aus gutem Grund haben sie mit vielen Aktionen – von Balkonkonzerten über neue digitale Formate bis hin zu #AlarmstufeRot – immer wieder auf ihre berechtigten Anliegen aufmerksam gemacht: «Ohne Kunst & Kultur wird's still».

Indes, zum Diskurs gehören verständliche Argumente – und eben diese bleibt die Aktion weitgehend schuldig. Gute Argumente verweisen auf den eigentlichen Kern der Kunst- und Redefreiheit, bei der es nicht um Partikularinteressen, sondern um das grosse Ganze geht. Etwas mehr Demut vor der Rolle der Kunst, und die Schauspielerinnen und Schauspieler wären ihrer Verantwortung gerecht geworden. Diskurs ist eine Sache, die Aufrechterhaltung des kulturellen Amüsierbetriebs eine andere.